Der Riese Abfalter
Nirgends waren die Riesen so daheim, als im Untersberg bei Salzburg. Dort wollen sie noch die Großväter des jetzigen Geschlechtes gesehen haben, wie sie allnächtlich, um die elfte Stunde, aus dem weit geöffneten Felsentor schritten und langsam, schweren Trittes hinauf nach der Spitze des Berges wallten. Unterwegs war wohl der eine oder andere müde, lehnte seinen Arm auf eine der niedrigen Almhütten und stützte das Haupt in die Hand, um auszuruhen. Dann knarrt und kracht das Häuschen in allen Fugen und die Menschen darin schüttelt es im Bett hin und her, dass sie sich ängstlich bekreuzen und die Decke über die Ohren ziehen. Es dauert auch nicht lang, so rafft sich der müde Wanderer wieder auf und schreitet den anderen nach. Oben, auf dem Gipfel des Berges, wo man weit, weit in das Land sieht und über Stadt und Strom und Wälder schaut, da bleiben die Riesen stehen und blicken unverwandt nach Osten, bis der erste Strahl des Frühlichts dämmert. Dann kehren sie langsam dem rosigen Schimmer den Rücken und wandern wieder hinauf in ihr finsteres Felsenheim. Einer der Riesen, Abfalter genannt, hauste gleichfalls auf dem Untersberg, wo man noch heute den großen Felsengraben zeigt, der ihm zum Lager diente. Er hatte noch kein Weib, gleich den anderen Wesen und wusste oft vor lieber Langeweile nicht aus noch ein. Da warf er zum Zeitvertreib große Felsblöcke ins Tal hinunter, Stück um Stück, bis daraus jener ansehnlichen Hügel entstand, an welchem die Dörfer Wals, Maxglan und Liefering liegen. Aber auch dieses Steinwerfen wurde dem Riesen Abfalter zuletzt langweilig und eines Nachts beschloss er einen Spaziergang in die Weite. Über die Zwieselalm weg schritt er über Geröll und riesige Steinblöcke hinweg hinauf auf den Gaisberg. Donnernd rollte ein Felsstück nach dem anderen, dass dem Verdrossenen die Wege versperrte, in die Tiefe. Jetzt stand er oben auf der Höhe, lange, lange, wie seine Brüder am Untersberg, das sehnende Antlitz gen Osten gerichtet. Dort dämmerte ein fahler Schein am Horizont. Jetzt färben sich die leichten Wölkchen rosig rot, ein frischer Lufthauch kräuselt die Locken des Riesenjünglings und trotzig die Fäuste ballend, ruft er ins Tal hinunter: „Ich gehe aber nicht, ich will die Sonne einmal sehen, die uns Tod und Verderben bringen soll, weil sie uns Menschenkinder erschauen lässt. Ich bleibe, und sollte es mein Leben kosten. Ich will sie sehen, diese Sonne, und auch die Menschen.“ Kaum war das trotzige Wort verhallt, da hob es sich auch schon glühend im Osten empor, das glänzende, strahlende Gestirn des Tages. Abfalter stand und schaute, und nie geahnte Wonne durchbebte sein Herz. Was sind all unsere blinkenden Schätze dort in der Tiefe und in den Felsspalten gegen diese Wunder, rief er staunend. Ach, wie reich ist doch das Menschengeschlecht, dem so Herrliches Tag für Tag geboten wird. Aber immer höher stieg der strahlende, glitzernde Sonnenball und des Riesen nachtgewohntes Auge konnte bald sein Licht nicht mehr ertragen. Langsam wandte er sich um und schritt in gewohnter Weise sich die Wege ebnend, dabei in Gedanken versunken, den Berg hinab zum Tale. Da – fast am Fuße desselben angelangt, stört leises Weinen und Schluchzen sein träumerisches Starren ins Blaue. Niederblickend gewahrt er auf der anderen Seite der Felsgruppe, an der er niederschritt, ein Mägdelein, das betrübt am Ufer der Salzach auf und ab wandelt. Der Riese beschleunigt seine Schritte, um zu ihr zu gelangen. „Warum jammerst du so elendiglich“, fragte er die Dirne. „Ach, ich weiß nicht, wie ich über den Fluss kommen soll,“ klagt das Mädchen. „Ich hatte mir Steine gesammelt, die ich als Trittsteine in das Flussbett hineinlegen wollte, aber sie waren zu schwer. Da, seht nur, sie haben meine Schürze zerrissen und einen nach dem anderen habe ich verloren.“ Ohne sich lange zu besinnen, hob Abfalter das hübsche Kind auf seine Arme, setzte mit einem mächtigen Schritt über die Salzach und ließ dort die Dirne wieder unversehrt zur Erde gleiten. Mit freundlichem, wenn auch scheuem Dankeswort schritt das Mägdlein von dannen. Abfalter hatte von Stund an aber keine Ruhe mehr in seinem Berg.
Die Sonne hatte er geschaut und ein holdes Menschenkind dazu, obgleich den Bergriesen beides verboten ist. Nun trieb es ihn in ruhelosem Sehnen jeden Morgen hinauf auf den Gaisberg, den Sonnenaufgang wieder und wieder zu schauen. Man zeigt noch heute die Abdrücke seiner großen Füße im Gestein. Wie viel hundert Jahre mag er da gestanden haben, ehe der Abdruck seiner Fußstapfen so tief sich einprägte, wie oft mag er suchend am Flussufer nach der Menschenjungfrau gespäht haben, ehe auch für ihn, wie für das ganze Riesengeschlecht, die Sonne zum letzten Mal unterging.
Foto: Der Riese Abfalter als Figur der traditionellen Wilden Jagd (Untersbergmuseum)
Der Riese Abfalter vom Untersberg Video
Abfalter decodiert
Sage vom Riesen Abfalter – spiritueller Inhalt (nach Rosi Behringer)
Wie bei vielen Sagen und Legenden mischt sich uraltes, verschlüsseltes, altüberliefertes Menschheitswissen, ausgedrückt in großen Urbildern, in dieser Sage mit dem Versuch, Erklärungen von Naturphänomenen zu finden. Uraltes Wissensgut, von Schamanen und Druiden, von Weisen der Bibel-Völker und nativen Volksstämmen, das von Generation zu Generation unverändert weitergegeben wurde, mischt sich mit der Deutung von beobachtbaren Gegebenheiten, deren Hintergrund mystisch und dunkel erscheint. Will man den spirituellen Inhalt einer Sage ergründen und eine Deutung wagen, so nimmt geradezu eine Schlüsselstellung die Deutung von Zahlen und Namen ein. Die Sage vom Riesen Abfalter liefert hierzu eine beinahe unglaubliche Dichte an uraltem Menschheitswissen, das im Laufe der Zeit immer mehr verschüttet, jetzt einen neuen Durchbruch sucht, um wieder – wie in paradiesischen Zeiten von Eden – Allgemeingut der Völker zu werden.
Nirgends waren die Riesen so daheim, als im Untersberg bei Salzburg.
Wir Menschen sind alle Riesen, Riesen an innewohnender göttlicher Kraft, sind „gefallene“ Schöpferwesen des Lichtreiches, die bereits auf dem Rückweg in ihre lichte Heimat sind, nur ist dies den allermeisten nicht bewusst.
Dort wollen sie noch die Großväter des jetzigen Geschlechtes gesehen haben, wie sie allnächtlich, um die elfte Stunde, aus dem weit geöffneten Felsentor schritten und langsam, schweren Trittes hinauf nach der Spitze des Berges wallten.
Wir begegnen der ersten, bedeutungsschweren Zahl, der Elf, die aussagt, welcher Natur die Riesen sind, welcher Welt sie zugehören. Die Zahl 11 ist die Zahl der Sünde (Absonderung), des Kriegs (missbrauchte Macht = Gewalt), die Zahl des Reich des Antichristen (das 11. “kleine Horn” Buch Daniel 7,8). Sie steht für die Überschreitung der göttlichen 10 Gebote und hat zu tun mit Huldigung und Unterwerfung unter Satan Luzifer, mit Rebellion gegen Gott und sein Reich des Lichtes (göttliche 10 + 1); In der Kabbala gibt es 10 göttliche Emanationen im Baum des Lebens und ein okkultes 11. Sephira (Da’at), welches nach der Auslegung mancher esoterischer Lehren einen Zustand göttlicher Erkenntnis (=Verbindung zum Baum der Erkenntnis, zur verführerischen Schlange, Lichtbringer Luzifer – Dualität [1 + 1 = 2) beschreibt, der auf Erden u. a. durch Sex-Rituale (schwarze Magie) erreicht werden kann, z. T. mit dem Ziel, gottgleich zu werden, sich auf Gottes Ebene zu erheben. Es ist das Ziel Satans (der Satanisten), des einstigen Lichtbringers Luzifer, des Zweitgeborenen der Urquelle allen Seins, der eine Rebellion gegen die Gottheit in den Himmeln anzettelte. Hintergrund war die Empörung des strahlenden Morgensterns Luzifer darüber, dass die Geistmenschen, die nach und nach aus der Gottheit geboren wurden und nach Luzifers Auffassung weit unter seiner Strahlkraft und Würde lagen, von der Urquelle allen Seins mit Schöpferkraft ausgestattet wurden. Deshalb auch sein Hass auf die Menschen und seine dauernden Versuche, sie an ihr Ende zu bringen durch Zerstörung ihrer Lebenswelt. Ihr Auftrag war -und ihre Erfüllung fanden sie in diesem Auftrag – die Myriaden von lebendigen Sternen- und Planetenwesen schöpferisch auszugestalten und dazu die Ursubstanz nach ihren Vorstellungen zu formen, die die Gottheit dann mit aus ihr geborenem Leben beseelt. Luzifer sollte das göttliche Lebenslicht an diese Geschöpfe überbringen und das fand er unter seiner Würde. Er wollte sich gegen die Geistmenschen, die er in der Tiefe seines Herzens verachtete, dadurch abheben, dass er von Gott Urvater / Göttin Urmutter forderte, selber Leben spenden zu können, wie die Gottheit es kann. Er fand nicht wenige Anhänger seiner Idee, die es ebenfalls prima fänden, selber Leben spenden zu können. Da die Gottheit sein Ansinnen ablehnte, forderte Luzifer sein eigenes Reich und grenzte dieses vom Lichtreich Gottes ab, das er fortan zusammen mit seinen vielen, vielen Anhängern bewohnte. Es kam zum Urknall, es entstand erstmals Raum, Begrenzung und Zeit, es entstand eine dreidimensionale Raumwelt, die mit dem Zeitfaktor einer linear verlaufenden Zeitabfolge verbunden war. Doch Luzifers Welt war dunkel und kalt, seine Anhänger wollten zurück ins Licht. Er konnte und kann sein Reich nur aufrechterhalten, indem er es mit Gewalt und Unterdrückung mit eiserner Faust regiert. Das Reich der Riesen war ein Teil des dunklen Reiches des Luzifer, es war das Reich der spirituell Toten, der ehemaligen Anhänger Luzifers, unter ihnen auch gefallene Menschengeister. Sie alle waren im Laufe der Jahrmilliarden des Lichtes entwöhnt, sie durften nur nachts ihre zu Fels, glitzerndem Kristall und Eis erstarrte Welt verlassen. Deshalb gingen sie auch schweren Schrittes, war ihr einstmals schwereloser Lichtleib doch in der Welt der Polarität, der erstarrten Materie, schwer und dicht geworden.
Unterwegs war wohl der eine oder andere müde, lehnte seinen Arm auf eine der niedrigen Almhütten und stützte das Haupt in die Hand, um auszuruhen. Dann knarrt und kracht das Häuschen in allen Fugen und die Menschen darin schüttelt es im Bett hin und her, dass sie sich ängstlich bekreuzen und die Decke über die Ohren ziehen. Es dauert auch nicht lang, so rafft sich der müde Wanderer wieder auf und schreitet den anderen nach.
Hier hat sich ein Erklärungsversuch für das die Menschen erschreckende Phänomen eines Erdbebens, dessen Ursache man in der Entstehungszeit der Sage nicht mehr kannte, in die Urgeschichte eingefügt.
Oben, auf dem Gipfel des Berges, wo man weit, weit in das Land sieht und über Stadt und Strom und Wälder schaut, da bleiben die Riesen stehen und blicken unverwandt nach Osten, bis der erste Strahl des Frühlichts dämmert. Dann kehren sie langsam dem rosigen Schimmer den Rücken und wandern wieder hinauf in ihr finsteres Felsenheim.
Schon früh war die Kunde in die Dunkelwelt gedrungen, dass es eine Erlösung geben werde für die Wesen der Nacht, dass im Osten ein Stern aufgehen werde, dass im Osten ein Kind geboren werde, das ihnen Befreiung aus ihrem traurigen Zustand bringen wird (siehe biblische Messias-Erwartung, die Weisen aus dem Morgenland, die dem Stern nach Osten folgen, die indianische Erwartung des hellhäutigen Erlösers Quetzalquatl, der „gefiederten Schlange“, die die Weisheit der Schlange und die Freiheit des Adlers in sich vereint, die Erlösung bringen wird und aus dem Osten kommt. Das verführte die Indianer zum verhängnisvollen Irrtum, die europäischen Eroberer wären der Erlöser und sein Gefolge und sie beschenkten die Neuankömmlinge mit Gold und Kostbarkeiten, die ihre Gier erweckte und den indigenen Stämmen den Tod brachte). Die Riesen, Gefangene der Unterwelt und des Reiches der Dunkelheit, blickten deshalb voller Sehnsucht nach dem Osten, nach dem Licht, das ihnen Erlösung bringen würde. Doch sie kehrten dem ersten Schimmer am östlichen Horizont den Rücken, weil es ihnen verboten war, das Licht zu sehen und zogen sich wieder in ihre Felsenwohnungen zurück.
Einer der Riesen, Abfalter genannt, hauste gleichfalls auf dem Untersberg, wo man noch heute den großen Felsengraben zeigt, der ihm zum Lager diente.
Ein wichtiges Indiz ist der Name Abfalter = der beim Apfelbaum wohnt. Abfalter wohnt bereits nahe beim „verbotenen Baum der Erkenntnis von Gut und Böse“, er kann also von dessen verbotener Frucht essen, wie es der biblische „Adam“, der Mensch schlechthin, unabhängig vom Geschlecht (denn das bedeutet der Name Adam), tat. Er gehört dem „Lichtberg“ an, dem Mittagsberg, doch ist es ihm verboten, das Licht zu schauen, Niemals war es die Gottheit, die das Essen des Apfels vom Baum der Erkenntnis verbot, es war vielmehr der Fürst der Unterwelt, der durch das Essen dieser Frucht seine Herrschaft bedroht sah. Das Essen der Frucht des Paradiesbaumes Adams, des Baumes der Erkenntnis von Gut und Böse, führt nämlich in die Welt der menschlichen Erfahrungen, von Inkarnation zu Inkarnation, auf den langen Weg der Rückkehr in das Lichtreich Gottes. Dieser Weg lässt Luzifers Welt der Dunkelheit letztendlich hinter sich. Der Riese Abfalter hat sich bereits höher entwickelt, als seine Gefährten, er wohnt schon nahe beim Apfelbaum, der ihm den Weg zur Erlösung weisen wird.
Er hatte noch kein Weib, gleich den anderen Wesen und wusste oft vor lieber Langeweile nicht aus noch ein.
Die Wesen der Dunkelwelt, der Materie, sind nicht mehr ganz. Ihr Bewusstsein ist – der Polarität geschuldet – gespalten in einen männlichen und einen weiblichen Teil und so leben sie als Mann oder Frau, als zwei getrennte Wesen, die sich unabhängig voneinander entwickeln und voller Sehnsucht suchen. Dem Riesen Abfalter ist bewusst, dass er seine weibliche Dualseele noch nicht gefunden hat. Er weiß vor Langeweile – man könnte treffender sagen, vor Sehnsucht – nicht aus noch ein. Er weiß nicht, wo und auf welchem Weg er seine Ergänzung, seine weibliche Dualseele findet
Da warf er zum Zeitvertreib große Felsblöcke ins Tal hinunter, Stück um Stück, bis daraus jener ansehnlichen Hügel entstand, an welchem die Dörfer Wals, Maxglan und Liefering liegen.
Hier lebt noch die Erinnerung an das Leben vor Zeit und Raum, die in unser aller Seelen verborgen liegt (Heiliger Gral): Wir Menschengeister sind als Schöpferwesen gedacht, die die Erde ausgestalten. Doch auch die Entstehung der Moränenhügel an den Gletscherrändern nach der Eiszeit und die Ablagerung von Felsblöcken wollte in einer Zeit, da man um die wirklichen Ursachen nicht wusste, erklärt sein.
Aber auch dieses Steinwerfen wurde dem Riesen Abfalter zuletzt langweilig und eines Nachts beschloss er einen Spaziergang in die Weite. Über die Zwieselalm weg schritt er über Geröll und riesige Steinblöcke hinweg hinauf auf den Gaisberg. Donnernd rollte ein Felsstück nach dem anderen, dass dem Verdrossenen die Wege versperrte, in die Tiefe.
Im Steine werfen (Probleme mit Gewalt lösen) findet Abfalter nicht, was er sucht, seine „Langeweile“, seine Sehnsucht wird nicht befriedigt. Deshalb beschließt er bei Nacht, in der einzigen Phase, in der er wirken kann, „in die Weite zu gehen“. Er verlässt seine dunkle Welt und sucht neue Wege, die ihn aus dem Dilemma führen sollen, er überwindet „Geröll und Steinblöcke“ und räumt sie beiseite, er rollt alles, was ihm den Weg versperrt, in die Tiefe. Er setzt sich über das Verbot, das er bislang akzeptiert hatte und das ihn an seine Unterwelt band, hinweg und verlässt seine enge Welt. Er zieht zum Gaisberg, dem uralten Kultplatz, dem Heiligen Ort und Hexenberg, dem Berg des Okkulten, Geheimnisvollen, des verborgenen Wissens der Großen Mütter der vergangenen Zeiten.
Jetzt stand er oben auf der Höhe, lange, lange, wie seine Brüder am Untersberg, das sehnende Antlitz gen Osten gerichtet. Dort dämmerte ein fahler Schein am Horizont.
Er hält Ausschau nach dem versprochenen Großen Licht, das im Osten aufgeht. Er sehnt sich nach Erlösung und sieht, wie es am Ende jeder Nacht geschieht, den fahlen Schein am Horizont.
Jetzt färben sich die leichten Wölkchen rosig rot, ein frischer Lufthauch kräuselt die Locken des Riesenjünglings und trotzig die Fäuste ballend, ruft er ins Tal hinunter: „Ich gehe aber nicht, ich will die Sonne einmal sehen, die uns Tod und Verderben bringen soll, weil sie uns Menschenkinder erschauen lässt. Ich bleibe, und sollte es mein Leben kosten. Ich will sie sehen, diese Sonne, und auch die Menschen.“
Die lange schon gehegten Gedanken werden zur Tat – er spricht das entscheidende Wort. Er will es riskieren, seinen Zustand zu verändern, und sollte es ihm das Leben kosten, wie die dunklen Fürsten der Finsternis es ihren Untertanen einbläuen. Er will das Licht sehen, die Menschen kennenlernen. Er will Menschenkinder erschauen, das bedeutet, er entschließt sich, Mensch zu werden, in das menschliche Leben einzutauchen, um so Erlösung zu finden. Auf diesem Weg, der letztendlich zur Rückkehr ins Lichtreich, zur Vollendung und zur Wiedervereinigung mit seinem weiblichen Seelenteil führt, wird er Geburt und Tod erfahren, Freud und Leid, Wohlergehen und Verderben. Aber letztendlich wird er die Sonne sehen, das Licht.
Kaum war das trotzige Wort verhallt, da hob es sich auch schon glühend im Osten empor, das glänzende, strahlende Gestirn des Tages. Abfalter stand und schaute, und nie geahnte Wonne durchbebte sein Herz. Was sind all unsere blinkenden Schätze dort in der Tiefe und in den Felsspalten gegen diese Wunder, rief er staunend. Ach, wie reich ist doch das Menschengeschlecht, dem so Herrliches Tag für Tag geboten wird.
Abfalter hat seine dunkle Welt für immer verlassen und sieht zum ersten Mal die Erdenwelt im Sonnenlicht. Er erfährt das Glück des Menschseins, er wird erstmals nach dem einstigen Verlassen des Lichtreiches Gottes, an das er keine Erinnerung mehr hat, nur ein leises Ahnen (er sehnt sich nach etwas), erfüllt von nie gekannte Freude und will sein neues Leben nicht mehr gegen das alte tauschen.
Aber immer höher stieg der strahlende, glitzernde Sonnenball und des Riesen nachtgewohntes Auge konnte bald sein Licht nicht mehr ertragen.
In der Welt der Menschen aber ist er dem Gesetz von Ursache und Wirkung unterworfen und dem Glück steht das Unglück gegenüber, dem Guten, Angenehmen das Böse und Unangenehme. Er ist nachtgewohnt, er kennt nur die Verhaltensweisen der Dunkelwelt, die Herrschaft des Stärkeren, die Gewalt, und bald kann er das Licht nicht mehr ertragen. Ursache/Wirkung holen ihn ein.
Langsam wandte er sich um und schritt in gewohnter Weise sich die Wege ebnend, dabei in Gedanken versunken, den Berg hinab zum Tale.
Abfalter denkt nach – wieder ebnet er sich den Weg, in dem er Hindernisse wegräumt, er geht in das Tal, durchwandert alle Tiefen des menschlichen Seins, entschlossen zum Handeln.
Da – fast am Fuße desselben angelangt, stört leises Weinen und Schluchzen sein träumerisches Starren ins Blaue. Niederblickend gewahrt er auf der anderen Seite der Felsgruppe, an der er niederschritt, ein Mägdelein, das betrübt am Ufer der Salzach auf und ab wandelt. Der Riese beschleunigt seine Schritte, um zu ihr zu gelangen. „Warum jammerst du so elendiglich“, fragte er die Dirne. „Ach, ich weiß nicht, wie ich über den Fluss kommen soll,“ klagt das Mädchen. „Ich hatte mir Steine gesammelt, die ich als Trittsteine in das Flussbett hineinlegen wollte, aber sie waren zu schwer. Da, seht nur, sie haben meine Schürze zerrissen und einen nach dem anderen habe ich verloren.“ Ohne sich lange zu besinnen, hob Abfalter das hübsche Kind auf seine Arme, setzte mit einem mächtigen Schritt über die Salzach und ließ dort die Dirne wieder unversehrt zur Erde gleiten. Mit freundlichem, wenn auch scheuem Dankeswort schritt das Mägdlein von dannen.
Abfalter sucht nach einem Ausweg. Er wacht aus seinem „träumerischen Starren ins Blaue“ auf, er beschleunigt seine Schritte, entwickelt sich weiter, er hört Weinen und empfindet Mitleid. Er wendet sich den anderen Menschen zu. Er erfährt, dass sich manche Menschen zu schwere Lasten aufbürden, die ihnen „die Schürze zerreißen“. Er hat nicht nur Mitleid, er ist ein Mann der Tat und hilft dem Mitmenschen, seine Schwierigkeiten zu überwinden, ohne eine Gegenleistung zu verlangen.
Abfalter hatte von Stund an aber keine Ruhe mehr in seinem Berg. Die Sonne hatte er geschaut und ein holdes Menschenkind dazu, obgleich den Bergriesen beides verboten ist.
In sein früheres, eng umschlossenes Leben in der Dunkelheit des Berges kann Abfalter nun nicht mehr zurückkehren, das Vergangene schafft ihm keine Ruhe mehr. Er hat die Sonne geschaut, er erkennt und weiß also nunmehr, wohin der Weg zur Erlösung führt, welchen Weg er gehen muss, er hat die Schönheit seines neuen Zustandes erkannt, obwohl er ihm auch Leid bringt und ihm dieser Weg von seinen ehemaligen „Göttern“, den Herrschern der Unterwelt, verboten war.
Nun trieb es ihn in ruhelosem Sehnen jeden Morgen hinauf auf den Gaisberg, den Sonnenaufgang wieder und wieder zu schauen.
Die Sehnsucht nach seinem Du, nach seiner weiblichen Ergänzung (Gaisberg, Berg der Großen Mütter, der verborgenen, verlorenen weiblichen Weisheit) treibt ihn von Menschenleben zu Menschenleben, von Inkarnation (Sonnenaufgang = Geburt) zu Inkarnation.
Man zeigt noch heute die Abdrücke seiner großen Füße im Gestein. Wie viel hundert Jahre mag er da gestanden haben, ehe der Abdruck seiner Fußstapfen so tief sich einprägte, wie oft mag er suchend am Flussufer nach der Menschenjungfrau gespäht haben, ehe auch für ihn, wie für das ganze Riesengeschlecht, die Sonne zum letzten Mal unterging.
Er hat in der Welt der Menschen seine Spuren hinterlassen. Er mag viele hundert Jahre = viele hundert Inkarnationen hinter sich gebracht haben, um seiner „Menschenjungfrau“ zu begegnen, bis für ihn die Sonne zum letzten Mal unterging, er also das letzte seiner Erdenleben vollendet hatte und er den letzten irdischen Tod starb. Abfalter hat sein Ziel erreicht, die Vollendung, den Zustand der Gott-Geeintheit, er kann mit seiner „Menschenjungfrau“, wenn sie ihren Weg durch Zeit und Raum ebenfalls abgeschlossen hat, die Himmlische Hochzeit feiern, sich mit ihr wiedervereinen.
Das ganze Riesengeschlecht, und dazu gehören auch wir jetzigen Erdenmenschen, wird dieses Ziel irgendwann einmal erreichen.